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Aus der Rubrik: Gescheiterte Projekte

Thomas Masselink • 15. August 2019

Alles richtig gemacht, trotzdem ist der Kunde weg

Zeichnung Schneehase

In einem unserer Workshops meldet sich ein Kollege zu Wort. Etwas ratlos und sehr enttäuscht.

„Ich habe alles richtig gemacht, und trotzdem verloren!“

Was war geschehen? Der Kollege hat seinen Betrieb getreu der EKS, der engpasskonzentrierten Strategie nach Wolfgang Mewes konzipiert. Er hat sich eine Zielgruppe ausgewählt und gut bedient. Er hat sich in die Zielgruppe hineingebohrt, ihren Bedarf gut analysiert und aus seinem Portfolio ein ziemlich einzigartiges Angebot konzipiert, das genau auf die Zielgruppe zugeschnitten war. Das Modell war (und ist) nach den strengen Grundsätzen periodisch und schwer kopierbar. Die Zielgruppe und besonders der Hauptkunde unseres Kollegen waren sehr zufrieden. Immer mehr Arbeiten und Prozessschritte wurden vom Kunden auf den Kollegen übertragen. „Der kann gar nicht mehr wechseln“, hat uns der Kollege bei früheren Workshops oft stolz erzählt.

Der Kunde konnte doch wechseln. Und er hat es getan. Ein anderer Wettbewerber hatte Teile des Geschäftsmodells unseres Arbeitskreismitglieds übernommen. Andere Teile waren dem Kunden plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Und schon war er ganz ohne Ausschreibung und ohne Vorwarnung weg.

Da muss doch was vorgefallen sein? Wieso macht der das? Warum so plötzlich und so unfair? Das waren die ersten Fragen im Arbeitskreis. Es war nichts vorgefallen. Und der Kunde war wirklich nicht fair. Aber so ist es manchmal.

Was nutzt dann die ganze Arbeitskreisteilnahme und der Umbau des Unternehmens nach einer bestimmten Strategie, wenn das trotzdem passiert? Diese Frage stellte niemand. Auch der betroffene Kollege selbst nicht. Genauso gut könnte man fragen, was nutzt mir ein Sicherheitsgurt, wenn ich trotzdem mit dem Auto einen Unfall habe. Unfälle passieren. Und gerade das erfolgreichste Geschäftsmodell weckt Begehrlichkeiten beim Wettbewerb. Den Misserfolg kopiert niemand absichtlich. Aber bei erfolgreichen Modellen dauert es nicht lange, bis so etwas auch von anderen erst neidvoll beäugt und dann selbst versucht wird.

Was lernen wir Teilnehmer aus diesem Fall? Erst einmal, dass es auch bei erfolgreichen Strategien Rückschläge geben wird. Wir lernen außerdem, dass die Anpassungsgeschwindigkeit im Unternehmen schneller sein muss, als die Veränderungsgeschwindigkeit am Markt. So ging es schon den Dinosauriern und so geht es auch dem Schneehassen in jedem Jahr, wenn der Schnee schmilzt. Nicht der Stärkste überlebt, sondern derjenige, der sich am besten auf sich verändernde Umweltbedingungen einstellt. Der Schneehase ist im Winter weiß, damit er in verschneiten Landschaften nicht auffällt. Sobald es aber taut und der Schnee verschwindet, muss der Hase seine Farbe ändern, indem er das Fell wechselt. Nur so ist gewährleistet, dass er nicht sofort seinen natürlichen Feinden zum Opfer fällt.

Offenbar haben sich beim Kunden unseres Kollegen die Bedürfnisse geändert. Teile der einzigartigen Leistung waren plötzlich nicht mehr so wichtig. Andere Teile wurden vom Markt kopiert. Der Kollege hat diese Veränderungen der äußeren Umgebung nicht gesehen oder nicht ernst genug genommen.

Was hätte er stattdessen tun können? Sich noch tiefer in die Zielgruppe und in den Kunden hineinbohren. Noch dichter am Kunden sein, eher spüren, dass der Wind sich dreht. Gleichzeitig beobachten, was der Markt tut. Bauen andere ähnliche Möglichkeiten auf, wie ich selbst? Oder haben andere diese Möglichkeiten vielleicht schon? Dann ist mein Geschäftsmodell kopierbar und somit akut in Gefahr!

Für dieses Hineinbohren in die Zielgruppe und für solch eine Nähe zum Kunden braucht man einen exzellenten Vertrieb. Nicht den klassischen Drucksachenverkäufer, der zum Kunden geht und sich freut, wenn er mit einer Anfrage oder einem Auftrag zurückkommt. Sondern jemand, der sich im Geschäft des Kunden auskennt und der mit dem Kunden auf Augenhöhe über sein Geschäft spricht.

Ein Beispiel aus der Verlagswelt: Jahrelang wurden Produktionsleiter von Zeitschriftenverlagen von Druckereivertrieblern belagert, die in die Ausschreibung für Zeitschriften mit hineinrutschen wollten. Dafür wurde erzählt, wie toll das eigene Unternehmen sei und wie effektiv die Prozesse in der Druckerei und wie hoch die Qualität des Drucks und der Termintreue.

Das alles ist nicht unwichtig. Aber das Problem von Zeitschriftenverlagen war noch nie, was nach der Druckfreigabe passiert. Das ist immer das Problem oder das Thema der Druckerei. Den Verlag interessiert nur, dass er danach nichts mehr hört, sondern alles reibungslos läuft, damit er sich auf sein Geschäft, nämlich die nächste Ausgabe konzentrieren kann.

Wer sich in die Welt eines Verlages einarbeitet, befasst sich mit der Frage, wie ein Verlag in Zeiten schwindender Akzeptanz von Print Geld verdienen und ein Zukunftsmodell entwickeln kann. Was mache ich mit Big Data? Wie sehen digitale Geschäftsmodelle aus, die Geld einbringen? Mit einem solchen Gespräch tun sich Druckerei-Verkäufer meist schwer. Wer aber solche Gespräche mit seinen Kunden führen kann und führt, der wird nicht überrascht, wenn sich plötzlich dessen Prioritäten ändern.

Ich weiß: Von meinen lieben Druckereikollegen steigt jetzt ein nicht unerheblicher Teil aus dem Gespräch aus. Das ist nicht meine Baustelle. Ich bin Drucker. Ich kann das nicht leisten . Ja, das kann sein. Aber gerade, wenn das so ist, wenn mein Kunde in ein Geschäftsfeld abwandert, dass ich wirklich nicht mehr bedienen kann, dann muss ich das rechtzeitig wissen. Nur so kann ich existenzsichernde Maßnahmen ergreifen. Das war in unserem Fall leider nur noch mit der Brechstange möglich. Aber letztendlich ist es gelungen.

Summary:


  • Die Anpassungsgeschwindigkeit im Unternehmen muss höher sein, als die Veränderungsgeschwindigkeit am Markt.
  • Um rechtzeitig informiert zu sein muss ich mit dem Kunden über sein Geschäft sprechen – nicht über meins.
  • Die Aufgabe von Vertrieb wird zukünftig nicht mehr sein, Aufträge ins Haus zu schleppen, sondern Informationen auf höchstem Niveau zu generieren und für Kunden Ansprechpartner für deren Belange und für deren Zukunftsthemen zu sein.

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